Bei dem, was ich humorvoll Satzbau-Inzest nenne, handelt es sich genaugenommen um eine Komma-Amnesie. Man trifft diese spezielle Form der sprachlichen Verwahrlosung überall an, egal ob in Qualitätszeitungen oder beim gewöhnlichen Internetforisten. Deshalb ist es auch reiner Zufall, daß nun die „Junge Welt“ dran glauben muß und hier als Dilettant vorgeführt wird.
Kürzlich las ich einen Text über den leidlichen Nahost-Konflikt. Dort prangte mir die gleich folgende Passage entgegen, deren zweiter Satz inzestuöse Strukturen aufweist. Haupt- und Nebensatz koitieren gewissermaßen, da sie das obligatorische Komma nicht voreinander schützt. Der Einfachheit halber habe ich den betreffenden Nebensatz unterstrichen. Es sollen auch bildungsferne Schichten leicht erkennen, daß hier eine eigenständige Satzebene vorliegt:
Israelische Militär- und Regierungskreise schweigen traditionell über eigene Angriffe. In der Regel wird nicht einmal bestätigt oder dementiert, dass sie stattgefunden haben. In auffälligem Bruch mit dieser Praxis rühmen sich israelische Stellen seit einigen Jahren, man habe »Hunderte iranische Ziele« in Syrien angegriffen und nennen Einzelheiten zu manchen Aktionen.
Ich persönlich kriege immer Zustände, wenn ich solche Fehler sehe. Weil ja der nachfolgende Satz so offensichtlich die Weiterführung des vorherigen Hauptsatzes ist und inhaltlich nichts mit dem Nebensatz zuvor zu tun hat. Auch sprachästhetisch ist das eine Zumutung, da das Subjekt dieses Satzungeheuers im Singular steht („man“), während das zweite Verb eine Pluralform darstellt.
Wegen dieses semantischen Blödsinns spreche ich auch von Satzbau-Inzest. Der eingeschobene Nebensatz ist gewissermaßen das Kind des Hauptsatzes. Der nachfolgende „Elternsatz“ wird aber zum „Kind“ degradiert.
Daß viele Qualitätsjournalisten nicht sonderlich hell in der Birne sind, erkennt man sowieso nachhaltig an den Inhalten ihrer Texte. Dort kann man regelmäßig die völlige Begriffsstutzigkeit hinsichtlich der realexistierenden Doppelstandards unserer Diskurse studieren.
Dieser Ponyhof-Journalismus wird aber noch mal formal unterstrichen durch Fehler wie den obigen, der wirklich sehr häufig anzutreffen ist. Es reicht das kleine Wort „und“ aus, und schon übersieht der gemeine Journalist, daß er es mit zwei „Satzgenerationen“ zu tun hat.
Wer weiß, vielleicht sind diese Leute einfach derart mit den Relativismen der Gender- und Multikulti-Ideologie kontaminiert, daß sie dieses Denken unwillkürlich auch auf die Sprache übertragen. Nach dem Motto: Sätze willkürlich als Haupt- oder Nebensatz zu deklarieren und auch noch mit Komma zu trennen ist nichts anderes als teuflisches „Othering“ und wird mit der ewigen Rechtschreibhölle bestraft.
Heutzutage darf man ja Dinge, die offenkundig verschieden sind, nicht mehr als verschieden bezeichnen. Das ist dann wahlweise „Rassismus“, „Sexismus“ oder anderes Ungemach.
Demnächst fordern Qualitätsjournalisten eine Entkriminalisierung der Kommaregeln bei einvernehmlichem, gewaltfreiem Satzbau-Inzest.
Und das Ganze wird dann wahlweise „Inklusion“, „progressiv“ oder „tolerant“ genannt.